„Gedächtnis des Kreises“ in neuem Gebäude

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Kreisarchivarin Dr. Christiane Todrowski mit der illustrierten Tierenzyklopädie von Conrad Gessner, dem Begründer der modernen Zoologie. Foto: Hendrik Klein

Ein Besuch im Kreisarchiv des Märkischen Kreises in Altena

Von Hendrik Klein

„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten“ – so sagt es der Volksmund. Und wer etwas über die Vergangenheit der Altkreise Altena, Lüdenscheid, Iserlohn, den Märkischen Kreis oder den Vorgänger, die Grafsschaft Mark, erfahren will, der findet keinen besseren Platz für seine Recherche als das Kreisarchiv des Märkischen Kreises in dem Neubau an der Bismarckstraße 21 in Altena. Dort wacht Kreisarchivarin Dr. Christiane Todrowski mit ihren Mitarbeitenden über das „Gedächtnis des Kreises“.

Grundstock wurde 1875 gelegt

Das Archiv des Märkischen Kreises ist eines der größten und Ältesten in ganz Westfalen. „Den Grundstock dafür legte bereits im Jahr 1875 der >Verein für Orts- und Heimatkunde im Süderlande<“, verrät Dr. Christiane Todrowski, die zugleich auch Leiterin der angeschlossenen Landeskundlichen Bibliothek ist. Das Kreisarchiv betreut und verwahrt heute amtliches und privates Schriftgut des 14. bis 20. Jahrhunderts.

150.000 Fotos aus dem Märkischen Kreis

Neben den Aktenbeständen verfügt das Kreisarchiv auch über interessante und umfangreiche Sammlungen: Karten und Pläne seit dem 16. Jahrhundert, Flugblätter und (Wahl-)Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg und den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland, Kinoprogramme aus den 1950er Jahren, Gruß- und Ansichtskarten ab der Jahrhundertwende 1900, Musterbücher und Briefköpfe spiegeln das Alltagsleben unserer Vorfahren wider. Hinzu kommen etwa 150.000 Fotos aus dem gesamten Märkischen Kreis sowie lokale Tageszeitungen seit 1770.  Mit rund 1.500 Schulwandkarten aus den Jahren 1890 – 1970 sowie mehreren Hundert Schulbüchern aus der Kaiserzeit bis in die 1960er Jahre verfügt das Kreisarchiv außerdem über eine der größten Sammlungen historischer Lehrmaterialien in Nordrhein-Westfalen.

Kreistag beschloss 2017 den Neubau

Die 62-Jährige ist jetzt Hausherrin im schmucken Neubau des Kreisarchivs, in dessen Obergeschoss auch die BAföG-Stelle eine neue Heimat fand. Beide waren zuvor im nahegelegenen Kreishaus II an der Bismarckstraße 15 und 17 untergebracht. Weil das Kreisarchiv aus allen Nähten platzte, waren die Archivalien auf mehrere Standorte verteilt. In einen drangen bei der Flutkatastrophe Wassermassen ein und beschädigten massiv das gelagerte Archivgut. Der Kreistag beschloss im Jahr 2017 den Neubau. Dazu musste zunächst auf dem Gelände das ehemalige Eugen-Schmalenbach-Berufskolleg abgerissen werden. Nach dem Abbruch erfolgte im November 2020 der Baubeginn, im Juni 2021 war der Rohbau fertig und im Juni 2022 konnte der Umzug in das Sechs-Millionen-Euro teure Gebäude erfolgen.

Modernste Technik

Dr. Christiane Todrowski: „Der Neubau umfasst fünf Geschosse und bietet Platz für knapp 6.000 Regalmeter Archivmaterial. Zu den Besonderheiten gehören zwei separate Klimakammern. In der ersten lagern – konstant gekühlt bei 15 Grad – 5.000 Bücher aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, die es weltweit teilweise nur in dem in Altena vorhandenen Exemplar gibt. Die zweite Klimakammer mit einer Temperatur von größtenteils um die 4 Grad beherbergt den etwa 150.000 Stück umfassenden Bestand an Glasplatten und Negativen.“

Solarenergie und Wärmepumpen

Der Einbau modernster Technik sowie die Nutzung von Solarenergie und Wärmepumpen sorgen dafür, dass der energetische Aufwand so gering wie möglich ausfällt. Die Photovoltaik-Anlage mit auf dem Dach befindlichen Kollektoren ist baulich vollständig von den Archivräumen getrennt. Um das Eindringen von Regenwasser – und im Ernstfall auch Löschwasser – zu verhindern, ist die Regenwässerung außenliegend ausgeführt.

Ein Ort der Begegnung

„Wir haben hier neben den Akten der Kreisverwaltung auch historische Post- und Ansichtskarten, Pläne und Zeichnungen, Urkunden und Plakate. In Altena lagert auch eine der größten Sammlungen von Schulwandkarten, Lehrmaterialien und Schulbüchern in NRW. Wir haben sogar Lehrschaukästen mit getrockneten Originalpräparaten“, erklärt Todrowski. Das neue Kreisarchiv ist auch ein Ort der Begegnung. „Wie zuvor können Besucherinnen und Besucher nach vorheriger Anmeldung kostenlos in Archiven und Büchern recherchieren. Das erfolgt in unserem großen Lesesaal im Erdgeschoss“, verrät die Kreisarchivarin.

1.210 Besucherinnen und Besucher

Das Interesse an ihrem Kreisarchiv kann sich sehen lassen. Im Jahr 2020 erfolgten beispielsweise 72.071 Zugriffe auf die digitalisierten Tageszeitungen unter Zeitpunkt.NRW, 16.024mal wurde auf die Mediendatenbank zugegriffen und 1.210 Besucherinnen und Besucher kamen persönlich im Kreisarchiv und informierten sich vor Ort.

Älteste Urkunde vom 11. Januar 1345

Das Kreisarchiv ist reich an Kostbarkeiten. Die älteste Urkunde datiert vom 11. Januar 1345. Auf Pergament und mit Wachssiegel entlässt damit der Edle Ludolf von Steinfurt Johann Loepen aus der Wachszinspflicht gegenüber der Kapelle und der Burg Steinfurt. In Westfalen ist die Landeskundliche Bibliothek die einzige Einrichtung, die ein Exemplar der seltenen Erstausgabe von 1613 von Levold von Northofs „Chronik der Grafen von der Mark“ aufweisen kann. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1359 vollendete der aus Hamm-Pellkum stammende Levold seine Chronik, in der er in Form von Jahresrückblicken die Geschichte der Grafschaft Mark beschreibt.

Beitrag zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung Westfalens

Dr. Christiane Todrowski: „Damit leistete Levold einen wichtigen Beitrag zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung Westfalens. Darüber hinaus stellt er seiner Chronik einen Fürstenspiegel voran, mit welchem er den künftigen Territorialherren Ratschläge zur Verwaltung der Grafschaft und Verhaltensregeln an die Hand gibt – und es heutigen Lesern ermöglicht, Einblicke in das damalige Verständnis von Herrschaft und das Leben an einem westfälischen Hof im Mittelalter zu gewinnen.“

Begründer der modernen Zoologie

Conrad Gessner gilt wegen seiner illustrierten Tierenzyklopädie als Begründer der modernen Zoologie. Sein Buch Icones animalium quadrupedum viviparorum et oviparorum, quae in historiae animalium erschien 1550, die Landeskundliche Bibliothek besitzt eine Ausgabe von 1561. „Viele der darin enthaltenen Abbildungen, die angeblich >nach dem Leben< gezeichnet worden waren, wurden bis in das 18. Jahrhundert immer wieder in Drucken verwendet und beeinflussten so über eine lange Zeit die Vorstellung von der Tierwelt“, weiß die Kreisarchivarin. Im Kreisarchiv auch vorhanden: Die Verleihung des Adelstitels + Wappens für Heinrich Wilhelm von Holtzbrinck, Landrat des Kreises Altena, ausgestellt von Friedrich dem Großen am 31. Dezember 1767.

wave.inc

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